Die Zahl der Übernachtungen war vor der Pandemie mit fast 80 Millionen im Sommer wie im Wintertourismus annähernd gleich stark. Die Wintersaison ist, gemessen am Umsatz, aber wichtiger als die Sommersaison. Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Bei einer stetig steigenden Anzahl an verfügbaren Gästebetten verzeichnen die Beherbergungsunternehmen im Winter eine höhere Auslastung. Zudem liegen die durchschnittlichen Ausgaben pro Person und Tag im Winter um beinahe 20 % über jenen im Sommer. Dahinter stehen höhere Preise für die Unterkunft, für Speisen und Getränke und die „Mobilität vor Ort“ (v.a. Liftkarten). Doch mit COVID-19 hat sich die Situation dramatisch geändert. Während im Sommer 2020 viele Österreicher auf Auslandsreisen verzichteten und im Inland Urlaub machten, konnten sie im Wintertourismus die ausbleibenden Einnahmen der Gäste aus dem Ausland bei weitem nicht wettmachen.
Die Aufnahme Tirols am 24.September 2020 in die Liste der COVID-19 Risikogebiete und die Reisewarnung von Deutschland, Niederlande und Belgien am 14.Oktober, war ein schwerer Schlag für den Wintertourismus. Denn in Tirol wird jeder 3.Euro durch den Tourismus lukriert und jeder 4.Arbeitsplatz ist im Tourismus und in der vor- und nachgelagerten Wirtschaft (Handel, Bauwirtschaft, Handwerk- und Zulieferbetriebe, Landwirtschaft, etc.). Tirol ist vom Tourismus abhängig! Der Tourismus ist der Motor der Wirtschaft. Wenn die deutschen Urlauber zu Hause bleiben – in einigen Wintersportorten bis zu 90 % der Übernachtungen und vielen Tagesgästen aus Deutschland – ist das ein Totalausfall, denn die inländischen Gäste (22,7 % im Jahr 2019, Statistik Austria) können die Wintersaison 2020/21 nicht retten. Die Ereignisse im Februar und März 2020, als in Ischgl tausende Urlauber aus 45 Ländern infiziert wurden und dann ganz Tirol in Quarantäne war, schwebten wie ein Damoklesschwert über der Wintersaison und wurden in der Argumentation gegen die Öffnung der Skigebiete immer wieder in Erinnerung gebracht. In mehr als 2000 Berichten in den Medien wurde Ischgl zum Negativbeispiel: „Die wirtschaftlichen Interessen waren wichtiger als die Gesundheit der Gäste“. Laut einer Umfrage im Jahr 2020 hatte die Causa Ischgl einen negativen Effekt auf die Urlaubspläne der Deutschen. 22,5 % der Vorjahresgäste aus Deutschland wollten Österreich wegen den Ereignissen in Ischgl meiden. Weitere 21,3 % wollten einen Bogen um Tirol machen.
Von der Bundesregierung wurde am 24.September ein Sicherheitskonzept für die Wintersaison vorgestellt: Herabsetzung der Sperrstunde in den Lokalen in Tirol, Vorarlberg und Salzburg auf 22 Uhr. Abstand halten, Mund-Nasen-Schutz im Seilbahnbereich und der Gastronomie. „Skivergnügen ja, aber ohne Apres-Ski“ so Bundeskanzler Sebastian Kurz. „Enges Beisammenstehen, gemeinsames Trinken im Stehen und Tanzen nach dem Skifahren werde es in dieser Wintersaison nicht geben“.
Trotz einer Stornowelle, als Folge der Reisewarnungen, bereiteten sich fast alle Wintersportgebiete mit umfassenden Sicherheitskonzepten auf die Saison 2020/21 vor. Reisewarnungen in den wichtigsten Herkunftsmärkten (v.a. Deutschland, Niederlande), stark steigende Zahlen an Neuinfektionen und der 2. harte Lockdown, haben diese Bemühungen aber zunichte gemacht.
Aber auch die schockierenden Bilder von Touristen, die sich ohne Sicherheitsabstände und Masken vor den Talstationen der Seilbahnen anstellten und ein in Flachau abgehaltener Skilehrerkurs, sorgten mit über 70 Infektionsfällen als Coronavirus-Hotspot weiter für Schlagzeilen. Dazu zählten Berichte über partyfeierende und skifahrende „Arbeitssuchende“ im Tiroler St. Anton.
Die Unsicherheit bestand auch bei österreichischen Touristen. Laut einer österreichweiten Umfrage wollten zwei Drittel der Befragten auf einen Winterurlaub verzichten. Zudem wurden am 23.Oktober in 24 Bezirken in Österreich, aufgrund der hohen und rasch steigenden Infektionszahlen die Corona-Ampel auf Rot gesetzt. Davon waren alle Wintersportgebiete betroffen.
Für den Dezember gab es mehr Stornierungen als Buchungen. Für neuerliche Hiobsbotschaften sorgten die Rekordwerte bei den 7-Tage-Inzidenzen für Vorarlberg, Tirol und Salzburg. Die Neuinfektionen mit COVID-19 erreichten einen Wert von 300 und mehr je 100.000 Einwohner (Stand 28.Oktober) und stiegen in den westlichen Bundesländern in einigen Bezirken sogar auf über 700. Der von der Bundeskanzlerin Merkel am 28.Oktober verkündete 2.(Teil)Lockdown in ganz Deutschland mit strengen Kontaktbeschränkungen, um die rasch steigenden COVID-19 Zahlen in den Griff zu bekommen, war eine neue Hiobsbotschaft. Private Reisen waren nicht erlaubt und Beherbergungsbetriebe durften keine Touristen aufnehmen.
Weitere schlechte Nachrichten kamen aus Bayern. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder warnte am 18.November vor einen Skiurlaub in Österreich. Am 26.November wurde durch Söder mit den Worten „halb Europa von Ischgl aus infiziert“ und bei einer Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel die Forderung Skigebiete in Österreich aufgrund der angespannten Situation bis in den Jänner hinein nicht in Betrieb zu nehmen. Tagesgäste, die trotzdem in österreichische Skigebiete reisten, mussten bei ihrer Rückkehr mit einer 10-tägigen Quarantäne rechnen. Auch die Regierungen in Rom und Paris wollten ein europaweites Verbot von Skiurlauben zu Weihnachten.
Totalausfall des Wintertourismus in der Saison 2019/2020

Der Totalausfall der Wintersaison wurde durch die Monate November bis Jänner (im Normaljahr Hochsaison) besonders dramatisch augenscheinlich. Dies betraf alle Wintersportgebiete. Durch die monatelange Schließung der Beherbergungsbetriebe war eine Vermietung an Touristen unmöglich. „50 % aller Wintersport-Nächtigungen innerhalb von Europa finden in Österreich statt“, so Finanzminister Blümel. Das Wirtschaftsforschungsinstitut schätzte noch optimistisch, dass sich die Zahl der Nächtigungen im Winter 2020/21 (November 2020 bis April 2021) auf nur rund 10,2 Millionen belaufen und damit um etwa 83 % unter dem Vorjahreswert liegen wird. Im Vergleich zum Rekordwinter 2018/19 mit 72,9 Millionen Übernachtungen, wäre das ein Einbruch von über 86 %. Im stärksten Winter-Bundesland Tirol rechnete das Wifo für den Winter 2020/21 nur mehr mit 3,1 Millionen Nächtigungen. Zum Vergleich: 2019/20 waren es 22,9 Millionen, in der „Normalsaison“ 2018/19 sogar 27,4 Millionen. In Salzburg wurde ein Rückgang auf 1,7 Millionen Nächtigungen erwartet, nach 13,7 Millionen bzw. 16 Millionen in den beiden Jahren davor.
Durch COVID-19 stieg die Arbeitslosigkeit in den elf stärksten Wintersportregionen um das 25-Fache. Im Tiroler Bezirk Landeck – hier liegen die großen Skigebiete Ischgl und St. Anton – wurden im Jänner 2021 mehr als viermal so viele Arbeitslose gemeldet wie vor der Pandemie. In Galtür war jeder Fünfte arbeitslos, in Ischgl jeder Siebente. Mehr als verdreifacht hat sich die Arbeitslosigkeit im Bezirk Kitzbühel, verdoppelt in den Bezirken Bludenz mit den großen Skigebieten auf dem Arlberg. In einigen Wintersportorten war der Anstieg noch höher. So zählte Sölden im Jänner 2020 nur 25 Arbeitslose, im Jänner 2021 waren es 454. In Lech am Arlberg stieg die Arbeitslosigkeit von fünf auf 231, und in Galtür waren im Jänner 168 von 766 Einwohnern arbeitslos. Vor der Pandemie waren es nur 2. In Saalbach Hinterglemm wurden Ende Februar 365 Arbeitslose registriert, im selben Monat des Vorjahres waren es nur 15. Beinahe jeder Achte im Ort hat seinen Job in der Krise verloren.
Tab. 13: Ankünfte und Übernachtungen von November 2020 – Jänner 2021, Veränderung zum Vorjahr
Tirol kam nicht aus den Negativschlagzahlen. Nach dem Desaster von Ischgl, Infektionscluster bei Skilehrern und der unrechtmäßigen Vermietung von Zweitwohnsitzen (vgl. Airbnb) für „Arbeitsmigranten“, kam als weitere Bedrohung die rasche Ausbreitung der südafrikanischen hochansteckenden Virusmutation B.1.351. Nach Südafrika hatte Tirol die höchsten Fallzahlen (Hauptspreader). Wie in Ischgl, haben die Tiroler Behörden zu spät reagiert (Vorwurf Ischgl 2.0). Virologen forderten die Isolation Tirols, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern[. Am 9.Februar hatte die Bundesregierung ganz Tirol zur Sperrzone erklärt. Ausreisen waren nur mehr mit negativem COVID-19 Test möglich. Am 14.Februar hat Deutschland Tirol, als Reaktion der laschen Maßnahmen der Tiroler Behörden, als Mutationsgebiet eingestuft und die Grenzübergänge nach Tirol bis Mitte März geschlossen. Einreisen durften nur mehr Tiroler Pendler in systemrelevanten Berufen, die einen negativen Test und eine Bestätigung des Arbeitgebers vorweisen konnten. Der Imageschaden für Tirol war immens. Die Marke Tirol, aber auch von Österreich, war aufgrund der Ereignisse beschädigt.